Textproben aus: Harry und das tödliche Finale




Das passiert --- und noch viel mehr


     Mikro     Rena Larf liest eine Passage aus
    Harry und das tödliche Finale

Restaurant Fans im Biergarten Prominente beim Finale Hausboote in Vancouver
Restaurant "Bridges" Fans im Biergarten Prominente beim Finale Hausboote in Vancouver
   Vancouver, die Stadt an der kanadischen Westküste, ist immer unter den ersten zehn. Wenn irgendeine Lifestyle-Zeitschrift die schönsten Städte der Welt aufzählt, steht Vancouver ganz weit oben, in nächster Nähe zu Sydney, Singapur und München. Paris ist dort nie zu finden, auch London und Rom nicht, von Kairo und Kalkutta ganz zu schweigen. Wenn es um Lebensqualität geht, um die Zahl der Sushi-Restaurants außerhalb von Japan, oder um Fernsehserien, die nicht in Hollywood produziert werden, Vancouver ist immer dabei. Bei der Zahl der Regentage pro Jahr ist es sogar unangefochtener Spitzenreiter. Ich lebe gern in Vancouver.
   Granville Island ist eines der Zentren formloser Geselligkeit. Ehemalige Fabrikhallen beherbergen heute einen Markt, wo man von frischen Blumen bis zu altem Wein, von kaltem Eiskrem bis zu heißem Espresso alles findet, was man für den täglichen Überlebenskampf benötigt. Zu den wichtigen Einrichtungen zählt auch ein Restaurant. Es liegt fast direkt unter der Brücke, die weit über unseren Köpfen, in lichter Höhe, wie die Romantiker das genannt hätten, den Meeresarm überquert. Diese Brücke! In der Antike hätte man sie zum Achten Weltwunder gekürt. Es ist die einzige Brücke der Welt, auf der man sich verirren kann. Bridges heißt das Restaurant sehr treffend, Brücken. Bei gutem Wetter, also zwei- oder dreimal im Jahr, komme ich gern hierher, weil man hier, wie in einer Brasserie oder einer Trattoria am Mittelmeer unter freiem Himmel eine Mahlzeit genießen kann. Und das, anders als am Mittelmeer, sogar relativ abgasfrei.



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    Ich habe keine Ahnung, wie Sally es schafft. Ihr Lächeln muss die Wirkung einer Dampframme haben, denn an einem Tisch, an dem acht Leute Platz haben und schon zehn sitzen, werden die Enden der beiden Bänke freigemacht, so dass wir uns wenigstens mit einer Körperhälfte setzen können. Vielleicht hat auch Sallys grünes Fußballhemd dazu beigetragen, dass man uns hier noch einen Platz freigequetscht hat, denn alle anderen um den Tisch tragen genau das gleiche.
   Noch nie habe ich eine so ausgelassene Menschenmenge erlebt. Sally juxt mit ihren neuen australischen Freunden. Man muss es den deutschen Fans lassen, sie jubeln auch, wenn Costa Rica einen schönen Spielzug hinlegt. Zwei Plätze weiter ist ein junger Mann auf den Tisch geklettert. Er trägt ein Hemd der brasilianischen Mannschaft mit dem Namen Ronaldinho auf dem Rücken. Seine Haare hat er sich zu einer Irokesenbürste scheren lassen und ebenfalls grün-gelb gefärbt. Er schwenkt eine große brasilianische Fahne, die sich ständig in den Zweigen der Biergarten- Kastanienbäume verfängt. Sein Gesicht hat er sich auf jeder Seite mit fünf daumennagelgroßen quadratischen Tatoos in rot und blau verzieren lassen. Er wird wohl nie Chef eines großen Industriekonzerns werden. Die Proteste der weiter hinten Sitzenden stören ihn wenig, aber seine eigenen Kumpel zerren ihn schließlich wieder vom Tisch herunter. Vielleicht bin ich der einzige, der sich nicht wohl fühlt. Diese glückliche Menschenmasse schreit förmlich nach einer Bombe, nach einer Gasattacke, nach einem ausgeklügelten, verheerenden Terroranschlag.


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    Muss ich haben/verschenken
    Ich muss gestehen, im Lauf der Wochen hat mich dieser Sport in seinen Bann gezogen. In diesem Punkt ist es mir ergangen wie der Bundeskanzlerin, deren Unwissen zum Thema Fußball beim Eröffnungsspiel noch weltweit am Fernsehen erkennbar war, die aber mittlerweile bei jedem Foul, jedem Elfmeter, jedem Tor mitstöhnt und mitjubelt wie der letzte Fan in der Ostkurve.
Achtzig Minuten zeigt die Uhr, und immer noch steht es eins zu eins. In einem gewöhnlichen Spiel verlassen zu diesem Zeitpunkt die ersten Zuschauer das Stadion. Heute geht keiner. Im Gegenteil einer kommt sogar herein, gegenüber, auf der anderen Seite. Wo alle gespannt sitzen, fällt die Bewegung sofort ins Auge, auch wenn man nicht direkt in diese Richtung blickt. Ich richte die Kamera darauf.
   Man begegnet diesem Typ tausendmal am Tag. Der Kopf ist kahlgeschoren, das Gesicht glattrasiert. Er trägt, wie Tausende um ihn, Ein Trikot im Design der deutschen Nationalmannschaft, auch wenn unten die Franzosen gegen die Italiener spielen. Aber ich kenne diesen Mann, ich habe ihn schon einmal gesehen.Er trug damals einen gepflegten Vollbart, die Haare zum Pferdeschwanz gebündelt. Dieses Gesicht kenne ich wieder, Bart oder nicht. Ich drücke auf den Auslöser, während ich mich zu Bärlauch hinüberbeuge. "Brutus ist da drüben. Er setzt sich jetzt."
   Er braucht keine weiteren Infor-mationen. Er zieht ein Handy aus der Tasche, oder wohl eher ein kleines Funkgerät, denn er wählt keine Nummer."Brutus sitzt in Block A6, dritte Reihe. Kahlgeschoren, deutsches Trikot. Wir sind unterwegs."



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    Muss ich haben/verschenken
   Ein Ruderclub grenzt an den Fährhafen. Die Boote liegen kieloben in säuberlicher Reihe, ein paar junge und nicht mehr ganz so junge Leute in fährenbunten Schwimmwesten sitzen daneben und warten auf etwas.
   Direkt daneben ein ganz anderer Typ von Wasserfahrzeugen. Nein, es sind keine Fahrzeuge, sie bewegen sich nicht über das Wasser, sie liegen auf dem Wasser: Hausboote, ein Dutzend, vielleicht zwanzig, in zwei Reihen. Und das mitten in der Großstadt. Früher, erzählt man mir, waren es wirkliche Schiffe, mit denen man gemütlich in Urlaub fahren konnte, am Ende vielleicht sogar die Inside Passage hinauf. Heute sind es richtige Einfamilienhäuser. Der einzige Unterschied zu anderen ist, dass sie auf einer schwimmenden Plattform stehen, und dass statt des Autos ein Motor- oder Segelboot vor der Eingangstür zu sehen ist, und statt der Fahrräder ein Kanu. Ansonsten gibt es Zierbäume, blühende Pflanze, Dachterrassen - und die Aussicht auf die spiegelblanken Türme am anderen Ufer.
   Rob und Sally unterhalten sich lebhaft. Harry und ich sind hundert Meter zurückgefallen, weil wir uns immer wieder über diese ungeheure Vielfalt von Wasserfahr- und -wohnzeugen amüsieren. Dabei waren wir noch nicht an der Zementfabrik, wo Lastkähne von weit her das Rohmaterial heran- und auch das fertige Produkt wieder fortschaffen, und auch nicht am Fischerhafen, und auch nicht am Segelhafen, wo die weniger Betuchten ihre Boote und Bötchen liegen haben. Im Kunstcollege geht man schon auf den Feierabend zu. Die Steinmetzwerkstatt wird abgeschlossen, in der Schweißwerkstatt gehen die Lichter aus. Unser Steg endet vor einer Tor-einfahrt. NO EXIT steht da. KEIN AUSGANG, will der Urheber dieses Schiftstücks verkünden, dass also der Weg auf der anderen Seite des Hofes nicht weiterführt. Für mich ist die Botschaft eine andere: KEIN AUSWEG. Ich werde hineingehen in unseren Vortragssaal, ich werde meine Pflicht erfüllen, aber ich werde nicht wieder herauskommen.

Ende der Leseproben